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Ursula Strauss
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NACHDENKEN ÜBER ... DIENEN

Das Wort Dienen klingt so altmodisch wie subversiv. Wer will schon dienen heutzutage, ein Diener, eine Dienerin sein? Ohne zu wissen, was für einen dabei rauskommt? Moralisierende Untertöne schwingen da mit, unterfüttert von Etwas oder Jemandem, dem oder der man dienen sollte, weil, nun ja, weil man dann in den Augen anderer ein besserer Mensch sei. Moralisch gesehen, versteht sich.

Denn das Dienen an sich ist etwas, das man gern von anderen nimmt, aber selten dazu bereit ist, es zum Beispiel im eigentlichen Wortsinn zu vergüten oder - Schock! - es selbst zu tun. Mit eigenen Händen! Die schmutzig werden könnten! In unserer Dienstleistungsgesellschaft lässt mensch lieber machen. Dienen scheint keinen Wert zu haben, oder anders: Dienen hat keinen gesellschaftlich respektierten Wert, der sich nachweisbar in Gehaltstabellen, auf dem Konto oder in Gesetzentexten niederschlägt. Dienen scheint etwas für graue Mäuse und Mäuseriche, für selbstlose Wesen, für Heilige oder für Underdogs aller gerade aktuellen Couleur, für Menschen ohne Wahlmöglichkeit zu sein. Denen der Applaus vom Balkon doch genug sein sollte. Dem Dienen geht es also wirklich nicht so gut. Es hat irgendwie ein Imageproblem. Vielleicht wechseln wir mal die Perspektive.


Dienen ist  etwas existenziell Gegebenes. Etwas, das da ist, wie ein chemisches Element. Oder wie die Luft zum Atmen, die Notwendigkeit, zu essen. Es geht unauffällig mit all den Dingen einher, die wir tun und lassen, ablehnen und wollen. Nur das bedenken wir meist nicht. Dienen ist weniger ein Tun, sondern eher eine Haltung. So schlecht sein Ruf auch ist, so sicher ist es, dass wir dienen wollen. Weil wir nicht anders können. Weil es zum Menschsein dazugehört. Weil es uns erst zu Menschen macht. Weil es jeder tut und deshalb niemand ein besserer Mensch als der andere ist – oder ein schlechterer. Das moralische Argument zieht also nicht wirklich. Zumindest nicht beim Dienen an sich, neutral gesehen. Warum wird es dass so gerne aus der eigenen Psyche „outgesourct“?


Mal von vorn. Was ist Dienen denn überhaupt? Da bin ich, mit all dem, was ich mag und was ich nicht mag. Was ich kann und was ich nicht kann. Was ich habe und was ich nicht habe. Was ich lernen will und was mich überhaupt nicht interessiert. Mit all meinen Fähigkeiten, Unzulänglichkeiten, Wünschen, Hoffnungen, meinem vielen Geld oder meinem schwindsüchtigen Konto, meinem body oder meinem Übergewicht, meinen Besonderheiten oder Gewöhnlichkeiten, meinem Job oder meiner Arbeitslosigkeit, meinen Freunden und dem gleichgültigen Rest, meinen Erfolgen und Niederlagen. Mensch eben. Und ich bin nicht allein auf der Welt, ich teile mir diesen Ort mit Myriaden von Wesen. Da fragt man sich früher oder später doch, was man hier zu suchen hat. Wo es niemanden gibt, der annähernd so ist wie man selbst. Was das soll. Und obwohl es viele Konzepte gibt, kann mir diese Frage niemand wirklich zufriedenstellend beantworten – niemand, außer ich selbst. Früher oder später. Vielleicht.


Die Entdeckung all der anderen Irdischen und Außerirdischen stößt die Tür auf zu einem Raum mit endlosem Echo, einer erfurchtgebietenden Einsamkeit, meiner grandiosen Bedeutungslosigkeit. Grandios – weil diese Existenz oder Welt beziehungsweise das bisschen, das wir davon verstanden haben, wirklich grandios ist. Und es einem mit Intelligenz begabten Menschen irgendwann dämmern muss, dass zwischen diesem Grandiosen und ihm selbst ein eklatanter Unterschied bestehen muss, und das ist schwer untertrieben. Manche retten sich in ihre „Potentiale“, um das irgendwie zu ertragen, was ja verständlich und durchaus legitim ist. Aber nichts an der gefühlten eigenen Bedeutungslosigkeit ändert. Was wieder zu der Ausgangsfrage führt: Wieso sitzt ein derart kleines Wesen wie ich inmitten (das geht ja nicht anders) dieser grandiosen Existenz? Kurz: Was soll das? Wem oder was nütze ich? Sich an noch Kleineren, noch Schwächeren, noch „Bedeutungsloserem“ aufzubauen hilft da auf Dauer auch nicht bei der Antwort. Auch wenn das Ego das vermutlich anders sieht.


Eine andere Frage drängt dann schon bald aus dem off, zur Ehrenrettung sozusagen: Wieso hat ein derart kleines Wesen wie ich Teil an dieser grandiosen Existenz? Womit habe ich das (egal was) – und jetzt kommt’s! – verdient? Unsere Unwissenheit lässt uns schuldig im Regen stehen, und nachträglich versuchen wir diensteifrig zu rechtfertigen, was längst schon geschehen ist: Dass wir da sind. Hier, auf dieser Erde. Geschenkt. Wer hält das einfach so aus? Vielleicht ist das der HeldInnenmut, den wir wirklich brauchen. Um den Größenwahn sehen zu können, das Aufgeblähte. Den Kaiser ohne Kleider.


Wo war ich? Ach ja. – Was ist Dienen? Etwas, ohne das wir nicht vollständig werden. Schauen Sie doch mal in Ihr Horoskop. Auch Sie haben eine Jungfrau. Wie alle. Aber seit wir den Geist verbannt haben, will sie niemand haben.


2016/2024