VOM ERLEBEN DER WANDLUNGSPHASEN
Was haben wir ihn fürchten gelernt, den Herrn der Unterwelt! Was er alles macht, was er alles will, was er alles vermag. Er saugt uns den letzten Saft aus und lässt uns im Dunklen hängen - mehr tot als lebendig. Er ist mächtig, transpersönlich, will uns wandeln und notfalls dazu zwingen. Seine Konstellationen und Transite sind nie schön, sondern tun immer weh, er sorgt dafür, dass alles zusammenbricht und hinterlässt nichts so, wie es einmal war. Er zwingt uns genau in jene Ecke, in die wir am allerwenigsten wollen, und er gewinnt immer - notfalls mit Gewalt. Da fragt man sich doch: Kann man denn da gar nichts machen?
Zugegeben, Plutothemen und -phasen gehören nicht gerade zu den Highlights unseres Lebens. Und dass wir in unserem Umgang mit Pluto so ungeschickt sind, liegt nicht zuletzt auch daran, dass diese Energie erst seit ca. 60* Jahren in unser Bewusstsein dringen will. Das ist nicht viel angesichts der Menschheitsgeschichte. Seit Anfang der dreißiger Jahre sind wir nun also höchstpersönlich dazu aufgefordert, uns mit den Themen von Macht und Ohnmacht, emotionaler Fixierung, Gewalt, Extremen, Druck, Vampirismus, Müll, Symbiose, Ausbeutung, Bindung, Manipulation, Tabus, Therapie, Wandlung usw. auseinanderzusetzen. Seit Anfang der dreißiger Jahre steht quasi jedem Einzelnen die Energie zur Verfügung, um von der Raupe zum Schmetterling zu werden - jedoch ohne Gebrauchsanweisung.
Plutothemen sind nicht nur ein bisschen wie Sterben - sie sind Sterben. Sterben ist die in Raum und Zeit projizierte Erfahrung des Todes, bei der Saturn das ausführt, wozu ihn Pluto beauftragt. Pluto will den Tod, und Saturn macht hieraus eine irdische Erfahrung, indem er uns nimmt und nimmt und nimmt... bis wir wie Inanna nackt und bloß, aller äußeren Attribute beraubt, in der Unterwelt ankommen. Hier geschieht das Geheime, die Verpuppung und Verwesung des Bisherigen, damit etwas Neues daraus werden kann. Das aber sagt uns nur unser Verstand (wenn er mal gut drauf ist), denn in plutonischen Phasen spüren wir von dem kommenden Neuen erst einmal nichts. Im Gegenteil: Alles in unserem Leben scheint dem Untergang anheimgegeben zu sein.
Nun haben die wenigsten von uns die Möglichkeit, sich in solchen Phasen vollkommen zurückzuziehen, sich zu verpuppen um zu schlüpfen, wenn die Zeit reif ist. Die meisten Menschen müssen plutonische Phasen durchstehen, während ihre Umwelt von ihnen die gewohnte Funktion einfordert. Nur - dazu sind wir gerade dann immer weniger in der Lage, weil auch unsere Erinnerung an unsere gewohnte Funktion stirbt. Um zu begreifen, was Pluto von uns will, ist das persönliche Horoskop meist weniger hilfreich als erhofft, und zwar deshalb, weil wir Pluto an sich noch gar nicht begriffen haben. Auch wenn wir diese Energie benannt haben, so ist sie doch unserem Bewusstsein noch fremd. Wir wissen nicht, wie es sich anfühlt, diese Energie bewusst als etwas Eigenes zu erfahren. Was sollen wir also tun, wenn in unserem Leben die innere Begegnung mit dem großen Unbekannten ansteht?
Zuerst einmal einen Schritt zurücktreten aus unserem persönlichen Dilemma, um fragen zu können: Mit wem habe ich es hier eigentlich zu tun? Wenn wir wissen wollen, wer Pluto überhaupt ist, können wir einmal einen Blick in den archetypischen Tierkreis werfen - jenseits unserer persönlichen Konstellationen. Pluto ist wie alle Energien in ein Ganzes eingebunden und steht wie alle Energien in einem spezifischen Verhältnis zu den anderen. Seine Heimat Skorpion hat ihren ganz bestimmten Platz im Tierkreis. Und sie hat archetypische „Freundschaftsbeziehungen“ (Trigone und Sextile), archetypische „Krisenbeziehungen“ (Quadrate und Oppositionen) und archetypische „opportunistische“ Beziehungen (Quinkunx). Und siehe da: Es ist eine existentielle Gegebenheit (und kein persönliches Versagen), dass Plutophasen an die Substanz gehen und dass wir uns dadurch zerrissen und physisch/materiell gefährdet fühlen bzw. sind (Opposition Stier-Skorpion).
Ebenso ist eine existentielle Gegebenheit, dass wir in Plutophasen zwar recht bizarr werden, aber eher widerwillig auffallen und zum Sonderling werden (Quadrat Wassermann) - und dass wir es heute verabscheuen, selbst zu handeln und morgen davon besessen sind, alles im Griff zu haben (Quadrat Löwe). Für die Stier-, Löwe- und Wassermannseite in uns ist Pluto die nackte Bedrohung, weil er von diesen Standpunkten aus so... ach, so furchtbar ist! Seine emotionale Sturmflut hat die Macht, niederzureißen, was Stier, Löwe und Wassermann sichern wollen: unseren Besitz, unseren Stolz und unsere Unabhängigkeit.
Widder und Zwillinge, die beiden Quinkunx-Partner des Skorpions, verhalten sich da meist etwas moderater - je nach Situation natürlich. Während der Held in uns (Mars) sich nie ganz sicher ist, ob er Plutos Herausforderung annehmen soll oder nicht und mitunter zu Scheingefechten auf Nebenschauplätzen neigt, um diese lästig wiederkehrenden Feigheitsanfälle zu tarnen, fahren unsere Gedanken (Merkur) Achterbahn und hüten wir uns, sie vorschnell zu äußern - weil wir nicht so recht sicher sind, wer hier gerade denkt und ob uns nicht jemand etwas anhängen könnte, wenn wir das jetzt sagen. Damit das niemand merkt, greifen wir zu bewährten Floskeln, Wortritualen - aber toll finden wir das auch nicht... Tja, das macht er mit uns, der Pluto. Kein Wunder, dass er auf diese Weise nicht gerade zu einem Sympathieträger geworden ist.
Aber - hat er denn gar keine Freunde? Gibt es denn nichts, was wir in diesen Phasen wollen und können, was uns gelingt und uns Kraft gibt? Was ist das da in unserer Seele, das weder Tod noch Teufel fürchtet und uns entgegen aller Vernunft über die Klippe hinaustreibt? Und wer steckt mit ihm unter einer Decke? Die Antwort, die der Tierkreis uns gibt, überrascht, denn wir entdecken hier die Zeichen Steinbock und Jungfrau als Konspirateure des skorpionischen Anliegens. Beide Zeichen bilden Sextile zum Skorpion, was von einer unauffälligen und selbstverständlichen Übereinkunft zeugt. Sollen wir also etwa annehmen, dass es vernünftig (Jungfrau) und in Ordnung (Steinbock) ist, was Pluto da mit uns treibt? Dass unsere Seele es will, dass unser Alltag und unser öffentliches Ansehen, unsere Arbeit und unsere Ideale, unsere Funktionalität und unsere Zuverlässigkeit, unsere Kritikfähigkeit und unsere Urteilskraft den Bach hinuntergehen? Ja.
Es ist in unserer Kultur ein Tabu, zu begrüßen, dass etwas stirbt. Wir haben uns daran gewöhnt, das Vergehen zu fürchten und den Tod als einen Irrtum anzusehen. Pluto aber ist genau jener Teil in unserer Seele, der nicht so fühlt! Pluto kann sterben. Hier ist unsere Lust am Untergang zu finden, die erst dann destruktiv und grausam wird, wenn wir ihr im Ganzen keinen Platz einräumen und aus der Verwobenheit der Energien heraustrennen. Erst wenn wir den Tod/die Wandlung als einen Ausdruck unserer Natur (Jungfrau) bewusst anerkennen und respektieren (Steinbock), verlieren plutonische Phasen von ihrem quälenden Druck - und etwas Existentielles kann in unserem Leben geschehen. Und hier hilft kein So-tun-als-ob. Die Beteiligung der beiden Erdzeichen verlangt nach einem konkreten, sichtbaren Prozess, der zu Beginn verständlicherweise wie Scheitern aussieht. Verstecken gilt nicht. Und natürlich ist das für unser Selbstwertgefühl (Stier), unser Bedürfnis nach Applaus (Löwe) und unsere Distanz zu allem Irdischen (Wassermann) nicht gerade angenehm.
Der Tierkreis weist jedoch noch auf zwei weit intensivere Beziehungen des Skorpions hin, denn wir finden ihn eingebunden in das Wassertrigon mit den Zeichen Krebs und Fische. Diese beiden Zeichen könnten uns eigentlich einen leichten Zugang zu Plutos Wirken geben. Zwar haben wir hier wiederum das Problem einer transpersonalen Energie und erleben Neptuns im Prinzip harmonische Beziehung zu Pluto daher eher als extreme Angst. Aber Krebs? Die Heimstatt unseres Mondes schreckt uns doch eigentlich nicht so sehr, oder? Was das gern verniedlichte und verharmloste Zeichen Krebs für „finstere“ Freunde hat, gibt uns zum einen Auskunft über seine Kraft. Zum anderen erinnert uns das jedoch an „the dark side of the moon“, an das Dunkle unserer Natur. An das kommen wir nur heran, wenn unsere Zivilisiertheit einbricht. Wie gesagt, Jungfrau und Steinbock sind auf Plutos Seite.
Auf dieser dunklen Seite finden wir jedoch das Einzige, was uns in plutonischen Phasen ganz persönlich mitwirken lässt, wenn - ja, wenn wir es schaffen, unserem Natur-Sein gehorchen zu können: Instinktsteuerung. Und weil wir keinen Kokon spinnen können, müssen wir uns hier beschützen. In dieser Phase sind wir extrem empfänglich und verletzlich. Also tarnt Pluto - der Meister der Mimikry - uns, um uns der Aufmerksamkeit und Neugier anderer zu entziehen. Auch wir selbst sollten uns jetzt nicht mit Gewalt ans Licht zerren und „outen“ wollen. Möglicherweise fühlen wir uns nun irgendwie nicht-existent, doch vermutlich nur, weil uns für eine Weile das Echo der Welt fehlt. Das geht vorbei. Aber in uns entfaltet sich eine vollkommen neue Welt, die - wenn die Zeit reif ist - von Steinbock und Jungfrau wieder herausgetragen wird. Ebenso leicht und selbstverständlich, wie es vorher einbrach.
Die Nase in den Wind (oder den Mief) halten und wittern. Spur aufnehmen, ohne zu wissen, wohin sie führt. Fühlen, reagieren. Vegetieren und die inneren Zyklen wahrnehmen. Berührbar sein. Dem Wohlbefinden folgen, dem Missbehagen ausweichen. Kleine, einfache Entscheidungen treffen. Jetzt, jetzt, jetzt. Wie ein Kind. Vertrauen. Klein sein, jung, jünger. Unerfahren, neu in dieser seelischen Gegend. Auch bei der Wiedergeburt kommen keine Alten auf die Welt. Staunen. Nicht nach dem Grund fragen. Gefühle sind der Grund. Erst hier unten kann es sich wenden.
*Zuerst veröffentlicht ©1997, der Text hat inzwischen (2024) annähernd einen Saturnzyklus hinter sich.